OH BOY! – Sweet Magazin

OH BOY!

Ein junger Multimedia-Künstler aus den USA trifft auf eine 160 Jahre alte Traditionskäserei aus dem Allgäu. Wie passt das zusammen? Ein Gespräch über Kunst und Käse.

Editor: Anna Lehneis

Etwas ratlos standen im Sommer 2016 manche Bürger:innen von Goßholz, der Heimat der Käserei Baldauf, vor der Fassade des Baldauf Firmengebäudes und beäugten die große, bunte Wandmalerei samt dreiarmigem Senner, die erst mal so gar nicht typisch nach Allgäu aussah. Der Allgäuer per se hält es gerne mit der Tradition und drei Arme waren dann doch einer zu viel. Was anfangs für Unverständnis sorgte, ist den Allgäuer:innen mittlerweile ans Herz gewachsen und von der Wand nicht mehr wegzudenken. Es gab sogar schon Anfragen von Privatpersonen, die daraus eine Tapete fürs heimische Wohnzimmer machen wollten.

Hinter der Fassade steckt Boy Kong, ein 29-jähriger Künstler aus Orlando mit chinesisch-vietnamesischer Herkunft. Er ist Autodidakt und lässt sich von den unterschiedlichsten Stilen inspirieren – Folk, Graffiti, Ukiyo-e, Surrealismus … Die unverwechselbare Ästhetik seiner Arbeiten basiert auf einem Faible für Vielfalt und der Erforschung von Farbe. Boy Kong ist mittlerweile ein international gefragter Künstler. Einige seiner Arbeiten sind unter anderem beim Audubon Mural Project New York und an der University of Central Florida zu sehen. Weitere Exponate wurden in die Sammlungen von Nike, WeWork und Rag & Bone aufgenommen.

Sein Kunstwerk für Baldauf wurde dieses Jahr nach Fertigstellung der neuen Sennerei erneuert. Ein guter Grund und schöner Anlass, den Künstler selbst in einem Interview zu seiner Arbeit zu befragen.

Dein Weg zur Kunst – kannst du dich daran erinnern, wann und wie er begann? 

Wahrscheinlich irgendwann in der Grundschule. Ich malte viel im Unterricht und die anderen Kinder sagten immer wieder, wie gut ich war. Die Idee, etwas zu tun, was anderen Freude machte, fand ich aufregend und toll. Also fing ich an, für die Kids während des Unterrichts Bilder zu malen, und fragte mich irgendwann, ob es nicht eine Schule gäbe, in der ich einfach die ganze Zeit malen könnte. Ich fand das zwar später dann heraus, bewarb mich aber nie. Die Erkenntnis half mir allerdings dabei, der Kunst einen festen Platz in meinem Leben zu schaffen. 

Du hast die Murals auf dem Baldauf Gebäude designt und gemalt – wie kam es dazu? 

Mein Freund und Galerist Avi Gitler hat mich Martina Baldauf vorgestellt. Die beiden lernten sich auf einer Reise in Südafrika kennen. Bis dahin hatte ich nur ein paar Murals gemacht, aber Avi schickte meine Entwürfe ins Allgäu und es fühlte sich an, als könnte das passen. Die Entwürfe kamen gut an, es hat alles wunderbar geklappt und schon war ich auf dem Weg nach Deutschland. 

Als du die Murals für Baldauf entwickelt und gezeichnet hast, was für eine Technik hast du verwendet, wie lange dauerte es und was hat dich inspiriert? 

Die Murals habe ich mit Außenfarbe gemalt, denn das hat gut zu den Motiven gepasst. Bei der Technik habe ich mich auf Farbblocks konzentriert und Formen mit starken Umrissen geschaffen, um die grafische Qualität der Arbeit hervorzuheben. Die Linienführung der einzelnen Motive war auch ein Schwerpunkt meines kreativen Ansatzes. Als ich in Goßholz und Lindenberg spazieren ging, habe ich mir viele der traditionellen Wandmalereien angesehen und wollte dem etwas Mutiges und Peppiges gegenüberstellen. 

Wie lange warst du in Goßholz bzw. im Allgäu und wie hat es dir gefallen? 

Soweit ich mich entsinne, war ich ein paar Wochen im Allgäu und es hat mir wahnsinnig gut gefallen. An Details kann ich mich nicht mehr erinnern, dafür ist es schon zu lange her, aber ich weiß noch, dass ich einfach alles geliebt habe. Es war fast ein bisschen überwältigend, aber auf eine sehr gute Art. Alles war neu und schön: das Gras, die Luft, das Essen, die Tiere … Ich wünschte, ich könnte bald wiederkommen, denn ich fühlte mich damals körperlich so im Moment und hatte so viele neue Erfahrungen, dass ich kaum mit der Verarbeitung der Eindrücke hinterherkam … 

Hast du eine Verbindung zum Thema Käse, magst du Käse überhaupt? 

Um ganz ehrlich zu sein, mochte ich damals im Allgäu überhaupt keinen Käse und da waren Brot und Käse überall. Aber dann habe ich letzten Sommer bei Avi Baldauf Käse probiert und da hat sich etwas geändert. Der Käse hat mich irgendwie direkt ins Allgäu und zur schönen Zeit in Goßholz transportiert, mich an die tollen Leute und schönen Erlebnisse erinnert und jetzt liebe ich Käse – natürlich hauptsächlich den von Baldauf.

Deine Kunst ist sehr vielseitig und bietet ein breites, kreatives Spektrum – hast du besondere Präferenzen in Sachen Stil, Art und Materialien? 

Meine Gefühle und mein mentaler Zustand beeinflussen die Auswahl von Materialien und Stil stark. Ich bin eigentlich permanent dabei, Bilder zu machen, egal ob im Kopf oder als reale Skizze. Wenn ich dann eine Idee habe, suche ich mir das passende Material. Manchmal will ich supergenau arbeiten, dann verwende ich Buntstifte, um feinere Details gut darstellen zu können. Auf den Körper zu hören ist auch extrem wichtig. Wenn ich bemerke, dass mein Körper angespannt ist und ich mich locker machen will, dann fällt die Entscheidung auf Wasser- oder Acrylfarben. Eigentlich ist es ein permanenter Check-in mit der eigenen Person, um zu evaluieren, was sich in dem Moment am besten anfühlt. 

Was machst du im Moment, an welchen Projekten arbeitest du? 

Es kommen immer wieder private wie öffentliche Arbeitsmöglichkeiten rein. Im Moment bin ich in Verhandlungen mit einer Gartenausstellung und einer Show im Museum. Ich mag diese Art von öffentlichen Installationen, weil du so eine Unterhaltung beginnst und Ideen mit vielen unterschiedlichen Menschen austauschst, also deren Perspektiven betrachten kannst. Jetzt gerade arbeite ich einfach nur an Zeichnungen für mich selbst. Wie schon gesagt, liebe ich Auftragsarbeiten, aber ich genieße auch meine Zeichnungen, weil sie meine Gedanken direkt aufs Papier transportieren. Es ist wichtig, Zeit für persönliches Arbeiten zu haben, denn es hilft, den Kopf freizubekommen. Momentan zeichne ich beispielsweise eine riesige Ameise. 

Du arbeitest viel mit der Kunstform Ukiyo-e – kannst du unseren Leser:innen ein bisschen mehr darüber erzählen?

Ukiyo-e ist eine historische japanische Kunstform, die man meistens in Malereien und alten Holzschnitten findet. Sie steht eng mit der Erzählkunst in Verbindung, damit kann ich Geschichten in meinen Arbeiten transportieren. Der Stil hat eine gute künstlerische Gewichtung – Ukiyo-e fühlt sich nicht wie eine lebendige Geschichte an, ist aber auch kein Cartoon. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man ein kleines Stück vom Leben wegnehmen und auf die Oberfläche ziehen. Ukiyo-e ahmt das Leben nach, ohne es zu sehr vereinfachen zu wollen. 

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